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D'Schmiedin

Staudacher Paula (* 25.11.1914 in Nassereith, + 06.01.1996 in Hall in Tirol)

Im Männerberuf erfolgreich sein und dabei Frau bleiben

Paula Staudacher wurde am 25.11.1914 in Nassereith als Paula Haid geboren. Am 24.09.1956 heiratete sie in Ehrwald den Schmied Josef Staudacher. Kurz nach der Hochzeit übersiedelte das Paar nach Telfs und errichtete in der Pfarrer-Gritsch-Straße 8a ein Wohnhaus mit einer Schmiedewerkstätte. Da das Ehepaar keine Kinder hatte, arbeitete Paula viele Jahre an der Seite ihres Mannes in der Schmiede mit.

Sie absolvierte keine klassische Berufsausbildung, sondern erlernte das Handwerk von ihrem Mann. Im Betrieb gab es keine weiteren Mitarbeiter und so war Paula unentbehrlich. Sie verrichtete alle anfallenden Arbeiten wie z. B. das Zuschneiden der Materialien und war versiert im Schweißen und Schmieden. Sie entwarf und fertigte auch kreativ-künstlerische Fenstergitter und Blumenständer. Nur das Beschlagen der Pferde überließ sie ihrem Mann. Vielen Telfern war die große, kräftige Frau von Montagearbeiten auf den Baustellen bekannt. Von Zeitzeugen wird sie auch als der Kopf des Betriebes bezeichnet, da sie meist für die Kalkulation und die Berechnung der Maße zuständig war. Ich lernte Paula Staudacher als Kind Ende der Sechzigerjahre kennen, als ich für unseren Garten eine Turnstange bekommen sollte. Die dafür vorgesehenen Eisenrohre mussten vorher vom Schmied zweckdienlich adaptiert werden.

Ich war ziemlich aufgeregt, teils aus Vorfreude auf mein neues Spielgerät, teils aus Neugierde auf die Bekanntschaft mit dem Schmied. Als uns eine Frau im blauen Arbeitsoverall begrüßte, war ich sehr erstaunt. Gemeinsam mit meinem Vater trug sie die schweren Eisenrohre zu ihrem Mann in die Werkstätte. Es war offensichtlich, dass diese Frau gleichberechtigte Partnerin in der Schmiede war. Mir gingen viele Gedanken durch den Kopf, waren doch die Rollen von Männern und Frauen in der Gesellschaft klar verteilt.

Mädchen mussten beim Werkunterricht in der Schule stricken und häkeln, Buben durften viel interessantere Dinge mit richtigem Werkzeug machen.

Auch das Tragen solch eines schicken, blauen Overalls war nur Buben und Männern vorbehalten. Über dreißig Jahre später, bei den Recherchen zu diesem Bericht, konnte ich von Verwandten und Freunden Paulas auch von der anderen Seite dieser ‚starken Frau‘ erfahren.

Sie war eine versierte Hausfrau. Das Ehepaar schätzte gutes Essen und oft gab es einen selbst gebackenen Kuchen zum Kaffee. Auch legte sie in ihrer Freizeit viel Wert auf ein gepflegtes Äußeres und verfügte über einen gut gefüllten Kleiderschrank sowie über sehr schönen Schmuck.

Sie spielte gerne Karten und freute sich jedes Jahr auf den vierzehntägigen Urlaub in Kärnten. Ihr Mann war sehr gesellig und Paula konnte recht eifersüchtig reagieren, wenn er mit anderen Frauen zu herzlich scherzte.

Bei all ihrem beruflichen Selbstbewusstsein war sie privat sensibel und leicht verletzbar.

Am 30.03.1977 verstarb Josef Staudacher unerwartet an einem Herzinfarkt. Paula arbeitete mit Unterstützung eines Gehilfen noch einige Zeit bis zur Schließung der Schmiede weiter. Am 6.1.1996 verstarb Paula Staudacher, nachdem sie bereits seit längerem mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte. Für mich bedeutete die Begegnung mit Paula Staudacher einen ersten und wichtigen Anstoß, um über die Rolle als Frau in der Gesellschaft nachzudenken und manches kritischer zu hinterfragen.

Sie war eine der ersten Frauen, denen es möglich war, ihre vielfältigen Begabungen in einem typischen Männerberuf zu beweisen.

Einer ihrer Freunde sagte: “Eine wie Paula gab es weit und breit kein zweites Mal“

Foto von Staudacher Paula gesucht!

Quelle: Vorstehende Erzählung stammt von Marion Raich

 

 © Copyright 2013 - HJG, Telfs/Tirol, Österreich - www.telfer.at - Erstveröffentlichung: 15.06.2000
Panoramabild: Hansjörg Hofer

Letzte Aktualisierung am 17.12.2014