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Schwöller Pepi und Midl
oder: „- Kanntsch derhuam it måchn!“

(Jeder Ort hat seine "Originale", Menschen, die vielleicht etwas spleenig oder liebenswert
"anders" sind. Sie sind das Salz in der Suppe der überwiegend "normalen" Mitbürger.)

Wienerschneider-Haus
Rechts das 'Wienerschneiderhaus'.

In der Prof.- Einbergerstraße befindet sich zwischen Volksschule und Pfarrkirche ein imposantes, einstöckiges Wohngebäude, das „Wienerschneiderhaus“. Die breite, auffällige Fassade schließt links und rechts mit zwei schönen Erkern ab. Ins Auge stechen ein prächtiger, reich geschnitzter Zierbundgiebel und darunter zwei Fresken. Die Gemälde zeigen knietief in Wolkenbänken stehende Heilige, die oben von prunkvollen Baldachinen beschirmt sind. Links, mit Schlüssel, Tiara und dem Hirtenstab des Papstes steht der Heilige Petrus, rechts mit schwarzem Birett, Kreuz und Märtyrerpalme blickt Johannes Nepomuk schweigsam gnädig auf die Passanten herab. Auf der Westseite zur Volksschule hin ist die Szene der Verkündigung Mariens dargestellt. Alle Gemälde (1773?) werden Josef Schöpf zugeschrieben, dem berühmten Telfer Barock-Künstler. Ursprünglich wurde das Wianerschneiderhaus „Frühmesserhaus“ genannt, weil es laut Urkunde für den Frühmesser gebaut wurde. In das Gewölbe des Kellers hat der Maurer seinerzeit die Jahreszahl 1696 in den feuchten Verputz geritzt. Damals gab es wohl noch keinen Priestermangel, sodass ein Frühmesser eigens für die Gottesdienste in der Früh, vor Arbeitsbeginn der Bevölkerung, verpflichtet werden konnte. Ihm hat die Pfarrgemeinde dieses stattliche Domizil zur Verfügung gestellt. Er wurde auch als „Primissarius“ bezeichnet, aber trotz dieses vornehm klingenden Titels ist dieser Berufszweig lange schon ausgestorben. Das Haus wurde privatisiert. Die heutigen Bewohner sind noch verwandte Nachfahren der Familie Härting vulgo Wianerschneider.

Aber drehen wir uns um und richten den Blick auf die andere Straßenseite. Dort schaut es weniger gepflegt aus. Da befindet sich an der Ecke zum Steinbühel ein Doppelhaus. Der östliche, unbewohnte Gebäudeteil,verlottert und heruntergekommen, steht seit langem da mit bröckelndem, halb abgeschlagenem Verputz und bretterverschlagenen Fenstern. Der Umbau, vor vielen Jahren begonnen, ist ins Stocken gekommen. Mancher Kirchgänger frägt sich, wie lange das wohl schon her sein mag, und wie lange es dauern wird, bis weiter gearbeitet wird.
Die zweite, die hintere Haushälfte ist zwar auch unbewohnt, aber immerhin ist dort noch Leben drin - ein kleinbäuerlicher Betrieb mit circa einem Dutzend Hennen.
 

  Schwöller-Haus     Schwöller-Haus
Das Wohnhaus der Eheleute Reindl an der Ecke Prof.-A.-Einberger-Straße / Steinbühel. Am rechten Foto sieht man Stalltüre/–fenster und die Haustüre.

Früher wohnte dort ein wirklich auffällig unauffälliges Ehepaar, kinderlos, alles taten sie gemeinsam - die „Schwöllerer“. Der Pepi ging „grumpp“, deshalb fuhr er lieber, immer mit dem Traktor, einem kleinen, grünen Lintner, Baujahr 1955, Typ „Bauernfreund“. Hinter dem Lenkrad saß der Pepi in blauer Arbeitskleidung, daneben auf einem Polsterle auf dem Kotflügel die Midl. Sommers wie winters. 1937 hatten sie geheiratet. Im Jahr drauf musste der Pepi zum Militär, und 1939 begann der Krieg. Zuerst im sicheren Hinterland, aber zuletzt wurde er 1945 noch in das nördlichste Finnland nach Murmansk geschickt. Dort erwischte ihn in den letzten Kriegswochen eine Maschinengewehrgarbe: Kopfdurchschuss – unter dem Auge hinein und am Hinterkopf wieder hinaus, Armdurchschuss, Lungendurchschuss und Fußknöcheldurchschuss. Alle Verwundungen überstand er, nur die scheinbar harmloseste Verletzung am Fuß führte zu Komplikationen. Dort kam der „Brand“ dazu, das Absterben der Körperstelle, hervorgerufen durch Infektionen oder unzureichende Durchblutung. Da musste man eiligst amputieren. So trug der Pepi fortan eine Beinprothese.

Mit richtigem Namen hießen sie Reindl, Josef und Maria.

Grabstelle der Eheleute Reindl
Grabstein der Eheleute Reindl am Friedhof der Pfarrkirche Peter und Paul, Telfs.

Man wird sie auf den ersten Eindruck zu den Kleinbäuerlen zählen mit vier, fünf Milchkühen und Kleinvieh. Aber Besitz hatten sie reichlich: zum Telfer Baurschaftl dazu noch ein Wohnhaus im Hanffeldweg, eine ganze Bauernschaft in Oberhofen, Waldteile, landwirtschaftliche Gründe, Bauplätze, aber Nachkommen hatten sie halt keine. Wenn Kinder aus der Nachbarschaft zum Milchholen kamen, behielt sie die Midl gern in der Küche zurück und lehrte sie allerhand Spiele wie das Brettspiel „Mühlziehen“. Sie unterhielt sich und spielte oft und gerne mit ihnen.
Die alte Ehepaarl lebten genügsam und mehr als bescheiden. Ja, ihre Sparsamkeit war sprichwörtlich. Jeden Tag gab es „oo-g’schmålzene Erdäpfel“, aber nicht etwa mit Butter, nein, wirklich mit Schmalz, also Schweinefett. - „Warum täten sie denn sonst Oo-g’schmålzene heißen? Müaßaten ja „Oo-butterte“ betitelt werden!“ Fleisch gab es nur alle „heiligen Zeiten“, zu den Festtagen oder wenn geschlachtet wurde.
Verreist sind sie nie. Urlaub? So etwas gab es nicht. Ging nicht, „wegnen Viech“. Erst als der Schwöller- Pepi schon gestorben war, fuhr die Midl ein paarmal mit auf einen Tagesausflug oder eine Wallfahrt.

Beim Hausbauen im Hanffeld legten sie selber Hand an, wo es nur ging. Und für den Zubau in der Einbergerstraße bezogen sie den Schotter für den Deckenbeton nicht etwa aus der Schottergrube, das wäre zu teuer gewesen, sondern aus dem Bach, der aus der Erzbergklamm kommt und selten Wasser führt. Dort wo heute die Tennisanlage ist, stellten sie sich ins Bachbett, die Midl und der Pepi mit seinem steifen Fuß. Sie ließen es sich nicht nehmen, allein und eigenhändig „Schotter zu werfen“. Darunter versteht man, dass der Bachschotter durch großflächige Eisensiebe geworfen wird, bis die Größe der Steine für den Beton passt. Man nahm auch keine fremde Hilfe an, außer von den Verwandten. Denen brauchte man ja nichts zu zahlen, sie wurden mit Produkten aus der Landwirtschaft entschädigt. Sparen, sparen! Und als die Schindler-Gründe zum Verkauf standen, da kauften sie noch große Flächen und Waldteile dazu.
Einmal kam der Pepi ins Spital. Alle daheim meinten, es müsste ihm zuwider sein, er müsste verzweifeln ohne Midl, abseits von zuhause. Aber Schneggn! Er hat wochenlang geschwärmt, wie gut es ihm gegangen sei, wie gut er zu essen bekommen habe. - „Då gait‘s (gibt’s) a Kouscht! Fast alle Tåg Fleisch!
- Kanntsch derhuam it måchn!“

Mir gefiel diese Episode, als ich sie erfuhr und ganz besonders gefiel mir der Nachsatz „Kanntsch derhuam it måchn“. Ich verwendete meinerseits diesen Ausspruch und zwar immer, wenn es außer Haus etwas zum Essen gab und nachgefragt wurde, wie es denn schmecke? - „Ja, guat! - Kanntsch derhuam it måchn!“
Anfänglich tat meine Frau etwas gekränkt, denn die Aussage wurmte sie, namentlich, wenn ich sie auch bei gängiger, alltäglicher, einfache Kost ausgesprochen habe. Zuletzt gewöhnte sie sich daran, und der Sager wurde im Freundes- und Familienkreis zur gängigen Redensart: „
- Kannsch derhuam it måchn!“

Vor einigen Jahren, als ich in Montegrotto am üppig gedeckten Tisch eines Thermalhotels immer wieder den Überfluss und die Vielfalt der wohlschmeckenden mediterranen Leckerbissen wahrheitsgemäß mit „Kannsch derhuam it måchn!“ kommentierte, da plagte mich plötzlich eine Idee. Ich wollte probieren, die Schwöller-Episode in einer mundartlichen Reimerei festzuhalten. (Das eigenartige Schriftbild macht erst Sinn, wenn man laut liest und sich selber zuhört.)

Hier ist das Ergebnis.

Kannsch derhuam it måchn!

In(m) Baurschaftl ålt gwoarn, ålm uãfåch glebb(t)
z’friidn und g’sund, der Schwöller Sepp.
Åbr mol håt eppes druckt und zwickt,
då håt n der Dokter i(n)s Spitool åa g’schickt.

Åbr wear do muant, er hatt‘ s it der’liitn,
dear hatt‘ si dejsamool saggrisch g’schniitn.
Ear isch dött woltan z'friedn gwejsn,
håt ålles g’lobt, voaraus es Essn.

Håt gsejt: „Dåå gaits a Kouscht!!! -
di gschmachigschtn Såchn,
in Warchtig goor Fleisch!-
- Kann(t)‘sch derhuam it måchn!“

Vorstehender Text wurde im Dezember 2015 im Rahmen des 'Schreibwettbewerbes Telfs'
durch Hubert Auer, Telfs, eingereicht und zur Veröffentlichung auf www.telfer.at freigegeben.
Fotos: Hubert Auer (Hausansichten), Hansjörg Hofer (Grabstein)

 

 © Copyright 2013 - HJG, Telfs/Tirol, Österreich - www.telfer.at - Erstveröffentlichung: 15.06.2000
Panoramabild: Hansjörg Hofer

Letzte Aktualisierung am 24.04.2016